Fünf Jahre. Ein Tag. Fünf Jahre und einen Tag war die Kapitulation der Nazis an der Westfront her. Fünf Jahre und ein Tag war ihre Terrorherrschaft vorüber. Fünf Jahre und einen Tag hatte es gedauert bis ein Vorschlag mit visionärer Kraft eine ganze Reihe von Kapitel der Geschichte schließen sollte. Bis vor kurzem erklärte Erbfeinde recihten sich die Hande. Länder, von deustchen Panzer überrollt und eben diese Panzer schickend, kamen zusammen. Menschen, die noch kurz vorher nur ‚wir‘ und ‚die‘ kannten, die sich in Schötzengräben gegenüber standen, sollten zusammen finden. Der öffentliche Grundstein dafür jährt sich heuer zum 69. Mal: Die Schuman-Erklärung. Am 9. Mai 1950 verkündete der französische Außenminister seine Idee, von einem Europa der Solidarität, der Gemeinsamkeiten und des Friedens. Und dieses Europa ist seit dem Realität geworden.
Unter dem Eindruck zweier Weltkriege hatte sich bei vielen die Haltung durchgesetzt, dass es einen gemeinsamen Ansatz geben müsste, um auf die Probleme und Bedrohungen zu beantworten. Der lauernde Kaltekrieg warf große Schatten voraus und die junge Bundesrepublik und ihre Bürger*innen sollten einen Platz in der demokratischen Familie einnehmen. Damit nie wieder Krieg zwischen den Völkern kommen würde, sollten die kriegswichtigen Montanindustrien unter gemeinsame Kontrolle gestellt werden, auch um so ihre Kraft für friedliche Zwecke zu nutzen. Um Streitigkeiten zu begegnen sollten gemeinsame Institutionen und Mechanismen geschaffen werden. Und beides ist geschehen.
Wie von Schuman vorhergesagt, arbeiteten Menschen und Staaten in Europa von da an, Schritt für Schritt an einem verinigten Europa. Auch wenn Initiativen immer wieder scheiterten, ging es stetig voran. Montanunion, Römische Verträge, ein direkt gewähltes Parlament, die Aufnahme der südeuropäischen Exdiktaturen, Schengen, der gemeinsame Markt, der Euro, die Osterweiterung. Bei allen Problemen ging es in Schritten, wenn auch manchmal in kleinen, immer weiter, weil nicht nur Visionär*innen sondenr auch Realpolitiker*innen an den Fortschritt glaubten und den Willen hatten diesen Weg weiter zu gehen. Krisen und Probleme gab es in der Vergangenheit genug, aber der demokratische Weg in ein gemeinsames Europa hat sich bewährt. Wo früher gekämpft wurde, wurde jetzt am Tisch gestritten. Und je öfter der Tisch verlassen wurde, desto öfter wurde auch wieder an den Tscih zurückgekehrt.
Mit dem Ende der UdSSR und des kalten Krieges gab es Aufbruchstimmung, die Osterweiterung schien ein Automatismus. Vor allem aber passierte etwas anderes: Viele glaubten an das Ende der Geschichte, an den unbedingten Sieg der Demokratie und des Kapitalismus. Und begingen folgenschwere Fehler. Der Vertrag von Lissabon markiert das Ende dieser Aufbruchstimmung und trägt zugleich die Züge dieser Fehleinschätzung. Mit der Krise wurde ebenso wie in Ländern wir Polen und Ungarn schnell deutlich, dass die Geschichte nicht zu Ende war, dass die Demokratie keineswegs überall unangefochten war und dass der jetzt ungezügelte Kapitalismus keineswegs ein besseres Leben für alle verhieß.
69 Jahre Schuman-Erklärung sind Grund zur Freude und zur Mahnung zugleich. Zur Freude weil wahnsinnig viel erreicht wurde. Zur Mahnung weil es Versäumnisse gab. Und es jetzt an der Zeit ist, wieder visionär und zukunftsgerichtet zu denken. Drei zentrale Punkte:
- Um weiter zu funktionieren, muss die EU endgültig föderalisiert werden. Das Parlament muss das oberste demokratsiche Gremium sein, dem der Rat nicht Dank Einstimmigkeit oder ähnlichem dauernd in die Suppe spucken kann.
- Europa ist nicht nur Hort des Friedens, sondern Versprechen von Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Staaten die sich dagegen sperren, müssen von europäischen Gerichten belangt werden können. Egal, ob es um Pressefreiheit oder Minderheitenrechte geht.
- Europa muss die Märkte in den Griff kriegen, damit sie der Politik und den Menschen dienen und nicht andersrum. Dazu gehören einheitliche Stuergrundlagen, Mitbestimmung und vieles mehr.
Dann und nur dann haben wir auch eine Zukunft. Und die brauchen wir dringender denn je. Für Europa!
Ingo Wagner