Ein Beitrag von Milanie Kreutz
Dieses Jahr wird Care-Arbeit mal wieder sichtbar…
Der Equal Care Day ist ein Aktionstag, der auf geleistete Fürsorge-, Pflege- und Betreuungsaufgaben aufmerksam macht. Noch immer wird diese Care-Arbeit, ob beruflich oder privat, zu mehr als 80 Prozent von Frauen geleistet. In Kitas sogar zu 96 Prozent, in Krankenhäusern und Pflegeheimen über 80 Prozent, wie die offiziellen Zahlen des statistischen Bundesamtes oder der Agentur für Arbeit belegen[1]. Viele Aufgaben gelten als selbstverständlich. Diese sogenannte Care-Arbeit wird meist „nebenbei“ oder unsichtbar erledigt. Daher fällt der Aktionstag auch auf den 29. Februar – der symbolisch für die unsichtbare Erledigung der Arbeiten steht und nur alle vier Jahre sichtbar wird. Oder anders ausgedrückt: Männer brauchen vier Mal so lange, um denselben Umfang an Fürsorge und Care-Arbeit beizutragen.
Heute haben wir den 29.02. und in vielen Städten finden Aktionen statt, die auf die unsichtbare Care-Arbeit aufmerksam machen – auch online z.B. unter https://equalcareday.de/ecd2024/
Die Pflege ist weiblich
Im Juni 2022 waren rund 82 Prozent der sozialversicherungspflichtig-beschäftigten Pflegekräfte in Deutschland Frauen.[2] Doch warum ist der Anteil in der Pflege meist weiblich? Weil in Deutschland in den Köpfen „Kümmern“ noch immer Frauensache ist. Besonders die niedrigen Gehälter bei meist harten und anspruchsvollen Bedingungen schrecken zudem eher von einer Ausbildung und einem Beruf in der Pflege ab. Wenig bis keine Aufstiegschance und noch weniger Anerkennung und Wertschätzung aus der Gesellschaft tragen ebenfalls nicht zur Attraktivierung des Berufsfeldes bei.
Pflegenotstand durch Corona verschärft
Aufgrund des demographischen Wandels wird unsere Gesellschaft immer älter und immer mehr Menschen in Deutschland sind dann auf Hilfe und Unterstützung oder Pflegeplätze in Altenheimen angewiesen. Engagierte Menschen – egal welchen Geschlechts – werden dringend gebraucht. Denn Deutschland befindet sich bereits in einem Pflegenotstand – Pfleger:innen arbeiten bis zum Umfallen und es besteht ein großer Mangel an Personen, die sich beruflich um bedürftige Menschen kümmern. Dieser Notstand ist durch Corona nochmal verschärft worden. Zu dieser Zeit war die Arbeitsbelastung deutlich höher als die ohnehin bereits für das Pflegepersonal ist.
Patient Zukunft
Unabhängig von Corona dürfte sich der Pflegenotstand in den nächsten Jahrzehnten noch weiter zuspitzen. Man geht von über 4,5 Millionen Pflegebedürftigen ab 2060 aus. Ein gleichzeitiger Rückgang der Pflegekräfte in Deutschland wird dann voraussichtlich zu einer Personallücke von 350.000 bis 500.000 führen.[3]
Diese klaffende Lücke kann nicht allein von Frauen gefüllt werden. Es ist Zeit, dass Politik und Gesellschaft gemeinsam Lösungen und endlich mehr Wertschätzung für die Berufe in der Pflege findet. Es braucht eine gerechte Entlohnung sowie ein Finanzierungssystem, dass Pflegeeinrichtungen erlaubt, dringend notwendiges Personal zu fairen Löhnen einzustellen.
Die Care-Arbeit in Deutschland ist doch gerecht verteilt, oder?
Frauen in Deutschland leisten dabei 52 Prozent mehr Familien- und Sorgearbeit als Männer. Bei alleinerziehenden Frauen liegt der Anteil noch höher. Um die Aufgaben erfüllen zu können, arbeiten über 50 Prozent der Frauen zwischen 30 und 65 Jahren in Teilzeit. Sie kümmern sich dann nach oder vor der Arbeit um Kinderbetreuung und Familienarbeit, übernehmen die Versorgung pflegebedürftiger Angehöriger, kochen, putzen, waschen oder erledigen viele weitere Aufgaben. In vielen Fällen übernehmen andere Frauen die Sorgearbeit, wenn die (Teilzeit-) Beschäftigten ihrer bezahlten Arbeit nachgehen, z.B. als Haushaltshilfen, Erzieherinnen oder Lehrerinnen. In einer aktuellen Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung geht hervor, dass zwei Drittel aller befragten Frauen in heterosexuellen Beziehungen die Verteilung der Alltagsaufgaben als nicht gleichberechtigt empfinden. 64 Prozent der Befragten gaben dabei an, überwiegend oder fast vollständig die Planung und Organisation des Haushaltes zu übernehmen. Zudem gaben mehr als zwei Drittel der befragten Mütter an hauptsächlich für die Kinderbetreuung verantwortlich zu sein[4].
Die Einnahme von heute ist die Vorsorge von morgen!
Diese vielen nicht-bezahlten Care-Aufgaben binden Frauen in ihrer Zeit. Zeit, die sie für Schule, Ausbildung oder Arbeit verwenden könnten. Denn privat-geleistete Care-Arbeit ist unbezahlte Zeit, in der sie nicht für ihr Leben oder ihre Rente vorsorgen können. Wir haben in Deutschland aktuell noch immer einen unbereinigten Gender Pay-Gap von 18 Prozent, sprich Frauen erhalten durchschnittlich 18 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Dieser Umstand erklärt sich damit, dass Frauen überwiegend in schlechter-bezahlen Berufen in sozialen Brachen tätig sind und, dass sie viel häufiger in Teilzeit arbeiten. Beides zusammen führt im Alter zu einem geschlechterspezifischen Gender-Pension-Gap, also einer Rentenlücke, die ohne Berücksichtigung von Hinterbliebenenrenten, bei aktuell bei 42,6 Prozent[5] liegt. Diese Lücke führt dazu, dass Frauen im Alter viel häufiger von Altersarmut betroffen sind und dann auch eine Last für die Gesellschaft und die dann notwendig zu zahlenden Sozialleistungen werden.
Fazit – Warum eine gerechtere Verteilung der Care-Arbeit wichtig ist.
Unsere Gesellschaft verliert, wenn die Care-Arbeit nicht endlich gerechter verteilt wird. Unsere Gesellschaft verliert motivierte, aktive und tatkräftige Frauen und Mädchen, die sich mit mehr eigener und frei-verfügbarer Zeit entfalten, einbringen und engagieren könnten – sei es in Unternehmen oder Wissenschaft als Fachkräfte, in der Politik als starke Stimmen oder in vielen Ehrenämtern. Wir können uns nicht länger leisten, auf Frauen zu verzichten.
Wie kann das gelingen? Es braucht dazu mehr Mut, Frauen Führung zuzutrauen. Es braucht mehr Umdenken der alten Denkstrukturen, denn Geschlechterstereotypen benachteiligen Frauen und können den Fachkräftemangel verschärfen. Es braucht mehr Betreuungsangebote für Familien, um Ausbildung, Beruf und Familie zuverlässig und bedarfsgerecht zu managen. Es braucht mehr gerechte Entlohnung für die wichtigen Berufe in den sozialen Branchen.
Mein Appell: Care-Arbeit muss endlich mehr gesehen, anerkannt und wertgeschätzt werden. Denn diese vielen selbstverständlichen, meist versteckten und unsichtbaren Aufgaben, sei es in den vielen Care-Berufen oder im Privaten übernommen, sind maßgeblich für den gesellschaftlichen Wohlstand unseres Landes.
[1] https://equalcareday.de/equal-care-eine-bestandsaufnahme/
[2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1029877/umfrage/verteilung-von-pflegekraefte-in-deutschland-nach-pflegeart-und-geschlecht/#:~:text=Im%20Juni%202022%20waren%20rund,Jahr%20auf%20rund%2046%20Prozent.
[3] https://pflegebox.de/ratgeber/pflege/pflegenotstand-ursache-und-massnahmen/
[4] https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-auch-erwerbstaetige-muetter-uebernehmen-meist-grossteil-der-kinderbetreuung-57852.htm
[5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_N015_12_63.html
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