Ein Beitrag zum Praktikum von Jan:
Zunächst einmal: Es gibt sie wirklich! Lokalpatrioten aus Leverkusen mit Bayer-Dauerkarten, Parteibuch und einer merkwürdigen Hassliebe „zum Bayer“. Darunter sogar Österreicher(innen)! Ein Kulturschock, dabei hab ich den Karneval nicht einmal erlebt. Aber der Reihe nach…
Anlass:
Ein Praktikum in der Geschäftsstelle der SPD-Ratsfraktion in Leverkusen. Pflicht wegen Studienordnung. Schnell sollte es gehen; der Schein „Pflichtpraktikum“, immer stiefmütterlich behandelt, steht jetzt zwischen mir und dem Abschluss und der Zukunft. Schnell sollte es gehen. Als Zeitungskonsument mit medialer Diskurssucht und organisationaler Bindungsangst? Da liegen Parteien oder Gewerkschaften nahe. Wollte ich doch immer mal machen… Erste Festlegung: Zur SPD, die einzige Partei mit einer Erzählung, die „Realpolitik“ an Visionen zu knüpfen versteht. Zweite Festlegung: SPD Leverkusen; ich kannte da jemanden, ein unbürokratischer Prozess. Ein Telefonat, ein Vorstellungsgespräch: zwei Wochen später: Praktikumsbeginn. Allet jut jejangen.
Die kommunale Politik ist vor allem Eines: Ehrenamt, Ehrenamt, Ehrenamt. Dazwischen vielleicht eine hauptamtlich Geschäftsstelle als Backoffice, das all die kleinen organisatorischen Dinge tut. Die Geschäftsstelle übernimmt das small business, ohne das es kein big business gäbe. Hier fand ich für 8 Wochen Obdach.
Pausenwerte:
Die Kaffee-Pause. Eigentlich Raucher-Pause, gelegentlich auch: Brathähnchen-Pause. Man sieht, Pausenvorwände gibt es genug. Um völlig unangebrachte Faulenzer-Vorwürfe im Keim zu ersticken, folgende Klarstellung: Die „Kaffee-Pause“ ist das Herz des Hauses, das eigentliche Machtzentrum. Die Geschäftsstelle ist zwar ein strammes Regiment aus drei, vier Steuerungseinheiten, doch mangels klarer Hierarchien und Zuständigkeiten gibt zweimal täglich als „Pausen“ deklarierte konspirative Treffen, die, weit von Erholung entfernt, die strategische Kooperation der verschiedenen Lenkungsstellen in der Leverkusener Parteizentrale organisieren und sicherstellen. Hier rauchen (nicht nur) die Köpfe und der Kaffee fließt in Strömen. Nur der Geschäftsführer übt sich in Enthaltsamkeit, trinkt Wasser, versucht Luft zu atmen und nur selten belohnt sich der bezeichnender Weise ostwestfälische Geschäftsführer für seine Askese hin und wieder mit einem Brathähnchen. Auf diese Weise wird der überbordenden Kreativität das gerade notwendige Quantum Nüchternheit entgegengesetzt. Kurzum: die Kaffepause kann nur Medizinern und Gesundheitspolitikern als irrationale und verantwortungslose Vernichtung an Zeit und Gesundheit gelten, garantiert sie doch eine den rheinischen Sitten ganz und gar angebrachte Entfaltung der politischen Produktivkräfte.
Bindungsfragen:
Die Pause. Hier wird über meine Aufnahme in die Bürofamilie entschieden. Zugangsvoraussetzungen: Genuss von Kaffee, Zigaretten und Sitzfleisch, oder: die Position des Geschäftsführers. Letzteres konnte ich nicht vorweisen, zum Glück aber Ersteres: Ein Heimspiel ohne Gäste. Vorläufige Adoption geglückt. Aber erst der Anfang. So leicht konnte es doch nicht sein? War es nicht: Die Gespräche verliefen kryptisch: Ich bin ortsfremd und es tat sich die unbekannte Welt der Leverkusener Lokalpolitik auf, mit eigener Sprache, eigenen Themen und vor allem: eigener Sprache. Also, Zuhören angesagt, die richtige Balance zwischen Verständnisfragen und scheinbar verstehenden Nicken finden. Irgendwann weiß man schon worum es geht, von was und wem in dieser seltsamen Steno-Sprache, die jeder auf Anhieb zu verstehen schien, gesprochen wird. Vor allem Namen, eine Unmenge an Namen, deren Erwähnung ebenso Anfang wie Ende eines Redebeitrags darstellen konnte (nur ein weiterer Beleg für die ungeheure Effizienz des sozialdemokratischen Kaffeekränzchens). Wissendes Nicken allerseits, hoffentlich kluges Blicken meinerseits. Es half nichts: Diese Sprache musste ich lernen. Erste Erfolge beim Erraten des Themas durch rhetorisches Nachfragen: „Du meinst xyz? Ja, haste recht, das war nicht so gut.“ Hin und wieder Rückschläge: peinliche Versprecher und kognitive Fehlleistungen meinerseits, taktvolles Ignorieren allerseits.
Die Probezeit ist vorbei, der Novizen-Kredit ausgereizt, es kommt, was kommen musste: Praktikant bei der SPD, aber kein Genosse? Nur schwer zu ertragen. Bisher konnte ich diesem wunden Punkt in meiner Beziehung zur SPD ausweichen. Aber nach vier Wochen? Unmöglich. Ein Bekenntnis wurde unumgänglich. „Biste für uns?“ „Na klar. Ich steh hinter euch“. „Von Worten kann man sich nischt kaufen. An ihren Taten sollt ihr sie erkennen…“. Ich dachte bei mir „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“ hätt ich lieber gehört, aber da ist nichts zu machen. Ich verspürte leichte Panik, untrügliches Zeichen einer Bindungs- und Bekenntnisphobie. Ich gings nochmal durch:
Einerseits: Parteien sind Parteien. Die SPD ist die SPD, man hofft hoch, und riskiert Enttäuschung. Man bekennt sich zu einer Partei und kauft sich Kompromisse ein. Eine Partei ist kein Monolith. Es gibt Differenzen. Die Partei ist eine Zumutung für das Mitglied: sie mutet gegen das Versprechen politischer Einflussmöglichkeiten Loyalität auch da zu, wo man anderer Meinung ist.
Andererseits: Parteien sind zwar Parteien, aber NGOs sind auch nur NGOs, wie Bewegungen auch nur Bewegungen sind und Spinner gibt es immer. Die SPD ist die einzige Partei, die dich enttäuschen kann, weil sie immerhin Erwartungen weckt die enttäuscht werden können. (Die CDU kann allenfalls eingefleischte Traditionalisten enttäuschen, wenn sie zu liberal ist.) Nur bei der SPD erscheint Machtstreben als anrüchig. Die SPD ist auch die einzige Partei, die durch ihre Historie und ihrer großen Erzählung der sozialen Gerechtigkeit gar nicht anders kann als sich für eine gerechte Gesellschaft einzusetzen, auch wenn sie Gerechtigkeit manchmal auf eher abwegigen Pfaden glaubt finden zu müssen. Am Ende geht es ihr wenigstens um Gerechtigkeit. Du kriegst ein tolles Parteibuch und bist endlich mal politisch aktiv.
Ausschlaggebend war am Ende aber der Gedanke, dass eine Partei, die auf guten Kaffee Wert legt, in der Nichtraucher eine zwar exotische, aber gern gesehene Minderheit sind und die im ursprünglichen Sinne des Wortes liberal ist und hierunter nicht lediglich die Befreiung von Steuern versteht, in ihrer alltäglichen Praxis auf dem richtigen Weg ist und sich zu Recht „Sozialdemokratie“ nennen darf.
Nach zweiwöchigen Taktieren (Mitgliedsantrag liegt zu Hause, hab ich vergessen, brauche einen neuen, weil falsch ausgefüllt usw.) schließlich der Beitritt. Zu bereuen gibt es (noch) nichts. Sigmar Gabriel gab zwei Tage später seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur bekannt, und ich werde wohl leider zur Schulz-Beitritts-Welle gerechnet, aber auch das ist Politik: Man ist als was man gilt.
Zum Abschluss kleine Brötchen backen:
Vor Beginn des Praktikums stand die Befürchtung der Langeweile: Wir reden hier von Kommunalpolitik, also Straßenumbenennungen, das Schließen von Schwimmbädern, sozialer Wohnungsbau… nun ja… sehr sexy ist das nicht. Was stand zu hoffen? Der Beweis des Gegenteils. Was kam bei raus? Beides und sehr viel mehr: Kommunalpolitik ist auf den ersten Blick tatsächlich wenig „politisch“. Wie erwartet ist Kommunalpolitik Klein Klein. Kaum gesellschaftliche Grundsatzdiskussionen und wenn doch kann ihnen selten in der kommunalpolitischen Praxis Rechnung getragen werden. Stattdessen die Aufgabe Politik bei geringem Spielraum und geringer Attraktivität zu gestalten. Es fehlen Ressourcen und definitionsgemäß die Handlungsvollmachten für die großen politischen Fragen. Politische Ideale müssen hier in ganz konkrete und eben nicht weltbewegende Fragen übersetzt werden. Politik und Ideale im verfahrensrechtlichen Detail. Mit Blick auf die finanzielle Notlage der Kommunen gleicht die Lokalpolitik einem permanenten Krisenmanagement. Kleine Brötchen also. Es ist der Versuch einen Unterschied zu machen, der in aller Regel nur bei Negativfolgen auffällt. Eine unmögliche Aufgabe? Vor allem undankbar, aber unverzichtbar. Na das klingt doch schon heroischer.
In diesem Sinne: Kleine Brötchen sind nicht das Problem, sondern ein kalter Ofen, und den kann man der Leverkusener SPD und ihren aktiven Mitgliedern nicht vorwerfen. Und sollte es doch einmal misslingen die Temperatur zu halten und der Ofen droht zu erkalten, dann gibt es immer noch heißen Kaffee, Zigaretten oder eben Brathähnchen.
Jan absolvierte vom 12. Dezember 2016 bis zum 10. Februar 2017 sein studiumbegleitendes Praktikum in unserer Fraktionsgeschäftsstelle.