Wie kein anderer Tag, wie kein anderes Symbol steht der 1. Mai für das Recht der Menschen an ihrer Gesellschaft. 1886 legten US-amerikanische Arbeiter*innen die Arbeit im Kampf für den 8-Stundentag nieder – in Anlehnung eine eine frühere 1. Maidemo 30 Jahre zuvor in Asutralien. Seit 1889 steht der Tag offiziell für den Kampf der Arbeitnehmer*innen für ihre Rechte nicht nur gegenüber dem Kapital aber auch gegenüber Staaten und Regierungen. Seitdem haben wir uns viel erstritten. Hand-in-Hand haben Menschen und Gewerkschaften immer weiter für bessere Arbeitsbedingungen, Sicherheit am Arbeitsplatz, vernünftige Löhne, kürzere Arbeitszeiten, sichere Rentenansprüche, Gleichberechtigung und vieles mehr gekämpft – erfolgreich.
Und dennoch ist all das in Gefahr. Seit Jahrzehnten spüren wir die Globalisierung. Werksschließungen, Produktionsverlagerungen und Fusionen sind ein Effekt. Sozialdumping, Lohndruck und Leiharbeit ein anderer. Die Tarifbindung sinkt, die Solidarität nimmt ab. Dabei können wir dem allen nur gemeinsam begegnen. Ganz im Sinne der Urbewegung: Hoch die internationale Solidarität!
Die Antwort der Konservativen und der Neoliberalen ist aber eine andere. Mehr Freihandelsabkommen ohne Minimalstandards, weniger Steuern für Unternehmen, mehr Flexibilisierung, mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und neuerdings auch wieder: Längere Arbeitszeiten. Der 8-Stunden-Tag ist ein Heiligtum der Arbeitnehmer*innenbewegung, das Kurz und Orban und auch Macron und Laschet entweihen wollen. Keine einzige Minute sollen sie kriegen.
Im Gegenteil: Europas Rolle ist für mich eindeutig. Europa muss seine Macht nutzen, um bestmögliche Standards zu setzen, nicht um Standards zu drücken. Auch Europa muss eine Gesellschaft der Arbeitnehmer*innen sein. Nicht nur im Sinn von ‚für die‘ sondern im Sinn von ‚von den‘. Das war Europa bei weitem nicht immer. Handelsabkommen und Wettbewerbsrecht haben eher zu einer Verringerung von Standards geführt. Das Grunddesign des Binnenmarktes hat den Wettbewerb zwischen Arbeitnehmer*innen eher verschärft als sie davor zu schützen. Und wo nationale Regierungen ihrer Deregulierungswut freien Lauf ließen, hat die EU ihnen lange freie Bahn gegeben.
Und doch gibt es mehr als nur Grund zur Hoffnung. Trotz Krise und Populismus konnte in den letzten Jahren einiges durchgesetzt werden. Weitere offene Türen für Privatisierungen konnten geschlossen gehalten werden. Zum Schutz vor Ausbeutung und Sozialdumping gilt jetzt das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Die Gestezgebung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde massiv verbessert. Eine europäische Arbeitsagentur wird über die Einhaltung der Regeln wachen. Freihandelsabkommen müssen sich an neuen Standards messen lassen.
Genügen tut das aber natürlich noch nicht, es gibt noch viel mehr zu tun. Nach außen müssen bei Handelsabkommen nicht nur Minimalstandards gelten, aber solide Arbeitsschutzstandards oberhalb der ILO-Normen. Gleichzeitig müssen wir aufhören mit unserem Handel andere Märkte zu zerstören. Privatisierungen müssen gestoppt werden. Nach innen müssen neben gleichem Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort auch überall soziale Mindeststandards gelten, ein System von Mindestlöhnen sorgt für Arbeit, von der man auch Leben kann. Staaten die dagegen verstoßen werden mit Sanktionen belegt, Unternehmen die sich dem verweigern (ebenso wie Steuern) dürfen zahlen. Und zwar richtig. Und statt die Maximalarbeitszeit zu erhöhen, senken wir sie. Damit 8 Stunden auch 8 Stunden sind. Und bleiben.
Ingo Wagner