Ein Beitrag von Peter Ippolito:
Karneval, Lebensfreude, Spaß, feiern, ausgelassen sein. Aschermittwoch, die Kamelle sind weggekehrt, das Aschenkreuz abgeholt und das Fischessen gebucht. Katerstimmung macht sich breit. Was sich wie die Umschreibung der tollen Tage anhört, hat viel mit unserer Republik zu tun.
Exportweltmeister, Reallohnzuwachs, niedrigste Arbeitslosenrate seit 1989, so viele Beschäftige wie nie. Dennoch verhalten wir uns als sei seit Jahren dauerhaft Aschermittwoch. Die „German Angst“ regiert. Flüchtlingskrise, Globalisierung, Populismus, Fake News, Europakrise beherrschen das Denken vieler Menschen. Selbst lebensrettende Impfungen machen den Leuten Angst.
Es ging der Bundesrepublik Deutschland, ja Deutschland im Allgemeinen, noch nie so gut wie heute. Natürlich gibt es Probleme, Wohnungsnot, soziale Ungleichheit, Staus auf den Straßen und, und, und…
Der Optimismus meiner Oma
Meine Oma hat das Kaiserreich, zwei Weltkriege, die Inflation, den schwarzen Freitag, den Nationalsozialismus und die DDR überlebt. Sie hat gehungert, um ihr Leben und das Leben ihres Mannes und ihrer Kinder gebangt. Oft wusste sie nicht, wie es am nächsten Tag weitergeht. Ihren Schwiegersohn und viele Verwandte hat sie im Krieg verloren. Sie hatte Sorgen ohne Ende in Ihren fast neunzig Lebensjahren und blieb dennoch immer Optimistin. Sie hat gegen allen Widerspruch immer gesagt. „Diese Mauer bleibt nicht“. Recht hatte meine Oma. Sie war dabei geprägt von einem christlichen Menschenbild. Leider lebt sie nicht mehr.
Freut euch an dem, was ihr habt
Ich überlege, was sie sagen oder tun würde, wenn sie den Jammernden, ach so Belasteten, völlig aus dem Leben Gefallenen und hier meine ich nicht die Bezieher von Grundsicherung, sondern das gut situierte Bürgertum mit seinen Abstiegsängsten, begegnen würde. Den Menschen, die seit Jahrzenten die wirtschaftlichen Segnungen unseres Landes nutzen und populistischen, geschichtsklitternden und hanebüchenen Unsinn erzählen. Ich bin nicht sicher, aber bei ganz dummen Phrasen würde sie vielleicht, kurz, knapp und knackig, mit ihrer kleinen schwarzen Handtasche zuschlagen, die sie solange ich mich erinnere immer bei sich hatte.
Menschen, Menschen überall
Meine Oma hat am 02.04.1945 den Todesmarsch der Häftlinge aus der KZ Außenstelle Ohrdruf nach Buchenwald gesehen. Nein, auch sie war nicht die Heldin, auch sie hat sich dem nicht entgegengestellt, dass hätte sie nicht überlebt. Aber dieses Erlebnis hat ihre Haltung zu Menschen, die einer anderen Religion angehören, die nicht ihre Sprache sprechen, die anders aussehen, nachhaltig geprägt. Sicher war sie nie Menschenrechtsaktivistin, aber sie hat im Kleinen Integration gelebt. Sie hätte auch auf Grund ihrer eigenen Familiengeschichte, vielleicht mit anderen Worten, immer gesagt: Deutschland ist ein Einwanderungsland.
Ehemalige Grenzen und eine grenzenlose Zukunft?
Meine Oma hat Deutschland meines Wissens nur einmal verlassen. Nicht weil sie nicht wollte, sondern weil sie nicht konnte. Erst gab es kein Geld, dann durfte Sie nicht reisen und dann durfte sie wieder nicht reisen. Das eine Mal aber fand sie ihr persönliches Glück. Sie traf im Elsas ihren Mann, zu der Zeit Franzose, vorher Deutscher, dann wieder Franzose, dann wieder Deutscher und seit 1945 wieder Franzose. Als ich geboren wurde war der Krieg 16 Jahre vorbei. Ich habe nie eine Zeit erlebt, wo ich nicht in fast alle Länder dieser Erde reisen konnte. Meine Oma hat mir immer gesagt, dass ich das nutzen soll. „Fahr Junge, fahr“ hat sie gesagt. Ich habe es genutzt. Den Gegnern der Globalisierung und den EU-Kritikern würde sie wahrscheinlich sagen: Wer siebzig Jahre in Europa in Frieden und Freiheit lebt, sollte Gott danken und ein wenig demütig sein.
Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht
Natürlich ist auch im Jahre 2018 nicht alles Gold was glänzt. Wer Trump, Putin, Erdogan, Orban, Kim und wen nicht sonst noch alles wirklich für sich persönlich als Gefahr wahrnimmt, dem bleibt nichts anderes übrig, als sich in den Kleinbunker K 2000 von Loriot zu verziehen. Bei aller Wut und allem Ärger, ich habe die Möglichkeit meine Kritik an diesen Personen, ohne Gefahr für Leib und Leben oder meine Freiheit, zu äußern.
Meine Oma hat Stalin, Hitler, Ulbricht, Honecker und viele andere erlebt und überlebt. Die Aufzählung soll beileibe keine Gleichsetzung sein. Aber eines war bei all diesen Zeitgenossen gleich. Kritik, auch noch so berechtigte, konnte die Freiheit und oftmals das Leben kosten. Dieses sollten sich die Menschen einmal vergegenwärtigen, die über Lügenpresse und gesteuerte Medien schwadronieren. Um mit meiner Oma zu sprechen: „Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht.“
Lügen haben kurze Beine
Mit den Begriffen Internet, Facebook, Fake News und vielen mehr hätte meine Oma sicherlich nichts anzufangen gewusst. Aber in einem Kaiserreich und zwei Diktaturen unterschiedlicher Couleur gelebt zu haben, gab ihr etwas, das vielleicht vielen Leuten heute fehlt, nämlich das Lesen zwischen den Zeilen. Vielen Facebook Nutzern empfehle ich dieses, denn die meisten Fake News sind mit wenig Anstrengung zu erkennen, wenn man dies will. Oftmals reicht ein genaues Lesen. Wenn das nicht hilft, dann hilft ein Blick ins Impressum, sofern es denn eins gibt. Meine körperlich nicht sehr große Oma würde mit ihren Erfahrungen mit staatlich gelenkter Presse sicherlich wütend sein auf solche die Lügen ohne Not verbreiten. Aber mit ihrem manchmal ausgeprägten Fatalismus würde sie sagen: „Lügen haben kurze Beine, noch kürzer als meine.“
Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber
Siebzig Jahre kein Krieg, ständiges Wachstum, mehr Möglichkeiten, Reisefreiheit, in vielen Ländern die gleiche Währung, ein frei gewähltes Europaparlament, Begegnungen der Jugend, der Wissenschaft der Kunst und der Kultur. Deutschland profitiert davon, wie kein anderes Land der Europäischen Union und trotzdem sitzen über 80 Europagegner im Bundestag. Meiner Oma wären sicher die Abwesenheit von Krieg und die Reisefreiheit neben einer guten Versorgung die wichtigsten Errungenschaften. Zu den Menschen, die all dieses in den Schmutz ziehen, die Erfolge kleinreden und mit völkischen Parolen daherkommen, hätte sie wahrscheinlich nur eines zu sagen: „Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“
Deutschland, meine Oma und ich
Der kleine Blick auf meine Oma stimmt mich nachdenklich. Er zeigt mir, wie gut es mir, wie gut es uns geht. Jammern ist nicht angesagt, sondern Freude darüber, was wir alles können und dürfen. Natürlich haben wir Probleme und Schwierigkeiten, diese müssen wir lösen. Das gelingt aber nur in einem optimistischen Deutschland, in einem geeinten Europa. Wenn Laktoseintoleranz, die Umsiedlung von Kreuzkröten, die Anwesenheit von drei Menschen anderer Hautfarbe, das neue Wohngebiet vor meiner Haustür, der Lärm vor meinem Fenster, der Stau, das Impfen eines Kindes, der Kampf um einen Parkplatz, die Lautstärke eines Spielplatzes, eines Sportplatzes oder gar eines Hahnes, die schlechte Note, die europäische Sommerzeit, der übervolle Mülleimer, überhängende Äste, fremde Blätter, der nicht geräumte Schnee oder gar der Maschendrahtzaun des Nachbarn zu Überlebensfragen der Menschheit, zumindest aber Deutschlands, stilisiert werden, dann geht es uns augenscheinlich wie dem Esel, der aufs Eis zum Tanzen geht.
Dieses Land ist gut, machen wir es besser. Das geht in einer immer kleiner werdenden Welt nur gemeinsam über Landes-, Religions- und Kulturgrenzen hinweg. Oder um wieder meine Oma zu zitieren. „Nur mit dem Hut in der Hand, kommt man durchs ganze Land.“
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